Kopfmachen

Das ist faszinierend. In der Tat. Dieses Gefühl völligen hingebungsvollen...Nichts. Erstaunlich. Es hat so etwas grundgütig Unlebendiges, so etwas Garnichts. Unglaublich. Langeweile. Sie, die wahre Wir, das echte Uns. So isses. Krieg oder Langeweile. Nie fühlte ich solch' absolute Leere. Ein poetischer Moment! Aber wie das Wort Moment schon sagt: schon vorbei. Nach diesem Aufblitzen von Erkenntnis, sind alle Momente wieder gleich und leer. Gleich leer langweilig.
Sicher, ich habe schon das eine oder andre Mal gesagt, dass mir langweilig sei. Aber so fühlte es sich nie an. Nie. Es gibt nämlich einen Trick. Aber den hatte ich vergessen. Gut nur, dass der Trick sich immer an mich erinnerte. Also ich greife üblicherweise zu einer bewährten Technik: Kopfmachen. Wann immer die Luft problemrein ist, alle Wässerchen ungetrübt und sich ein Mangel an Handlungsbedarf auftun könnte, mache ich mir einen Kopf. Einen. Oder gleich mehrere. Das hat Vorteile. Und Nachteile. Erstere zuerst. Vorteil: man ist beschäftigt. Geistiger Handlungsbedarf zieht den Degen und droht, einem die Stirn mit einem fetten H zu verzieren, so man nicht direkt aufspringt und nach allen Zutaten für einen guten Kopf rennt. Natürlich geht es auch gemütlicher. Kleine Schrumpfköpfe fangen beispielsweise so an. Stimmt es eigentlich wirklich, dass...? Das hat er doch sicher nicht so gemeint...? Und wenn ich jetzt doch alles falsch...? Man kann grübeln, ein paar Blicke durch die Busfenster den Passanten an deren schultereigenen Kopf werfen und den Schrumpfkopf sanft in der Handfläche hin und her rollen. Schrumpfkopf, Schrumpfkopf in der Hand – faltig bleibst Du mir nicht lang.... Daraufhin fängt der Schrumpfkopf an zu singen, mit allen vier Zähnen, die ihm noch geblieben sind, fühlt sich in seiner Ehre gepackt, entfaltet sich zu glatter makelloser Kopfhaut und wächst und wächst. Nach spätestens einer halben Stunde hat er Originalgrösse erreicht und wäre problemlos auf das linke Schulterblatt verpflanzbar. Einfach aufpropfen. Haare ab und zu kämmen, nächstes Jahr im Herbst können Sie dann die ersten Pflaumen ernten. Und das bei einem Aprikosenbaum. Spätestens dann beginnt die Panik: Kompott oder Marmelade? Aber da ist ja die Langeweile schon lange weg. Stattdessen: dieser herrliche prickelnde Stress, in den entspanntesten Momenten. Eine Kriegserklärung an jede Art von Ruhe. Langeweileparanoia. Immer einen kleinen Kopf zur Hand. Besonders praktisch: Deflationsköpfe. Nach dem Panikmachen einfach wieder einschrumpfen. 100% sicher und wiederverwertbar. Ökonomisch und ökologisch einfach clever. Und das beste: immer wieder neu. 1 Kopf – 1000 Perspektiven. Fast unübertrefflich effizient. Hauptsache, man behält das für sich. Freunde und Bekannte reagieren hochgradig allergisch auf die Wiederverwendung perspektivisch gedrehter Köpfe. Ein eindeutiges Zeichen: sie kriegen die Hand nicht mehr von der Stirn. Dann das tiefe Seufzen aus dem hintersten Lungenflügel. Schlussendlich: sie sind nicht mehr da. 
Wahrlich ein kleiner Teufelskreis, die Vermeidung von Langeweile. Kopfmachen, Stress, Ruhe suchen, finden – oh mein Gott, wenn mir langweilig würde..und der nächste Kopf. Macht nämlich kopfsüchtig, das Kopfmachen, ganz eindeutig. Es bedurfte mehrere Jahre intensiver Forschung und Therapiesitzungen mit Kopfsüchtigen, dass die meisten Langeweile seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen haben und ausserdem an einer Allergie gegen Aprikosenkompott leiden. Präventives Kopfmachen. Und die Hände sind auch schon ganz schrumpelig. Ist eine ganz üble Angewohnheit, das Kopfmachen, obwohl so praktisch, das weiss ich jetzt. Kriegt man nur nie geglaubt. Aber immer wieder findet man einen, einen Kopfmacher, auf einer stinkenden öffentlichen Toilette, zusammengesunken, in der linken Augenhöhle die Klobürste. Erschossen, verblutet bei dem Versuch, einen der Köpfe auf seinen Schultern loszuwerden.
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